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In tiefer Trauer gebe ich bekannt, dass Ernst Köberl am Mittwoch, den 11.11.2020 nach einem langen, erfüllten Leben im 98. Lebensjahr verstorben ist.

Ein Portrait von Ernst Köberl

Hanni-und-Ernst-Köberl

Ernst Köberl aus Bad Aussee ist ein Abenteurer wie er im Buche steht. Dem Tod hat er mehr als einmal ins Auge geschaut. Im Krieg bei einer Spezialeinheit, danach als Glücksritter in Brasilien, später als Seefahrer. Wieder daheim hat er seine eigene Schlosserei gegründet. Von Geburt an hat ihn ein guter Schutzengel begleitet.

Eine unvorstellbare Geschichte:

Als fünfjähriger Bub ist Ernst Köberl dem Tod zum erstenmal entronnen. In einem unbeobachteten Augenblick ist er in die hochwasserführende Ödenseer-Traun gefallen. Einige hundert Meter wurde er abgetrieben, bis er an einem Wasserfang bewußtlos hängengeblieben ist. Ein Mann hat ihn erspäht und herausgefischt. Mit zehn Jahren hat ihn eine Lawine mehr als 200 Meter mitgerissen, auch das hat er überlebt.
Nach der Pflichtschule ist er beim Installateur und Schlossermeister Max Moser in Bad Aussee in die Lehre gegangen. Es war eine harte Lehrzeit. Der Meister hat oft fast unmögliches verlangt. Einmal mußte er im Winter in eine zwei Meter tiefe, mit Wasser gefüllte Baugrube tauchen und einen Wasserschieber zudrehen. Einige male schickte ihn der Meister mit dem Auftaugerät auf einem Handschlitten bis Hallstatt oder Kainisch abgefrorene Wasserleitungen auftauen. Handschuhe anziehen hat er ihm verboten, Weichlinge mochte er nicht. Ernst Köberl sehnte das Ende der Lehrzeit herbei: „Dann schlag ich den Meister zusammen…“

Barfuß im Krieg

Dann kam der Krieg. Im Kaukasus und in der Ukraine hat Ernst Köberl die Hölle des Rußlandfeldzuges durchgemacht. Seine Einheit wurde aufgerieben, die Füße waren gefroren. Mit unglaublicher Zähigkeit und Überlebenswillen hat er sich barfuß eine Woche lang durchgeschlagen. „Ich glaube, das barfuß gehen in Schneematsch und Lehm hat meine Füße gerettet.“ Am Neujahrstag 1944 hat knapp neben ihm eine Granate eingeschlagen. Die Kameraden um ihn herum waren tot, er hat wie durch ein Wunder überlebt. Kaum wieder auf den Beinen kam er zu einer Spezialeinheit an die Oderfront. Blitzeinsätze hinter den feindlichen Linien waren die Hauptaufgaben. Mit viel Glück hat er auch das überlebt.
 

Bergdrama am Grimming

Nach dem Krieg hat Ernst Köberl bei der Eisenbahn eine Anstellung bekommen. Zuerst in der Werkstatt in Attnang-Puchheim, dann als Heizer auf der Lokomotive, später bei der Fahrleitung in Bad Aussee. In Attnang hat er seine erste Frau kennengelernt, 1946 wurde Soh Ernst geboren. Einem glücklichen Familienleben stand nichts im Weg, aber es sollte anders kommen.
Als begeisterter Bergsteiger war Ernst Köberl Mitglied bei der Bergrettung. Am 20. Juni 1948 klingelte während einer Nachtschicht um fünf Uhr morgens das Telefon. Jemand hatte Hilferufe am Grimming gehört. Gemeinsam mit seinen Freunden Albin Schranz, Franz Maier und Karl Resch stieg er beim Morgengrauen in den Grimming ein. Durch einen Wettereinbruch kam es zu einem Bergdrama: Karl Resch und Franz Maier starben den Bergtod. Ernst Köberl und Albin Schranz überlebten durch ihre ungeheure Zähigkeit.
 

Unbändiges Fernweh

Als Eisenbahner konnte Ernst Köberl gratis Bahnfahren soviel er wollte. Wenn ihn das Fernweh überkommen hat,  ist er in den Zug eingestiegen und weggefahren. Ein Rucksack mit Kochgeschirr, Spirituskocher, ein Stück Speck, ein Laib Brot und sein Zeltsack vom Militär war sein ganzes Reisegepäck. Er hat viele Städte Europas bereist, ist umhergestrolcht, hat seine Abenteuerlust ausgelebt.
Geschlafen hat er in irgendwelchen Schlupfwinkeln. In Marseille ist er mit viel Glück Fremdenlegionären entkommen, welche bei einer Razzia in den Spelunken und Bordellen Rekruten „angeworben“ haben. In Monaco hat er den griechischen Reeder Onassis kennengelernt. „Der ist wie ein Handwerker auf einer Bank gesessen und hat mit mir geplaudert“. In Genua wäre er beinahe der Versuchung erlegen, auf einem Schiff anzuheuern und einfach abzuhauen. Rom, Neapel, Palermo, Syracus usw. die Abenteuerlust hat ihn immer weitergetrieben.
 

Fort nach Brasilien

Eines Tages hat er während der Arbeit den Entschluß gefasst, nach Brasilien auszuwandern. Er meldete sich bei einer Auswanderungs-Organisation und kündigte bei der Eisenbahn. Im Frühjahr 1954 ist er mit 2000 Auswanderern auf Passagierschiff „Castel Felice“ aus dem Hafen Genua in Richtung Brasilien ausgelaufen. Zurückgeblieben sind eine verzweifelte Frau und ein weinendes Kind. Irgendwann später wollte er die Familie nachkommen lassen.
 

Gnadenloser Kampf

In Rio de Janeiro begann für Ernst Köberl ein gnadenloser Überlebenskampf. Zuerst ist er mit vielen anderen auf der Einwanderungsinsel „Ilha des Flores“ (Insel der Blumen) interniert worden. Nach zwei Wochen durfte er zur Arbeitssuche nach Rio.
Elend, Brutalität, Dreck und Gestank haben den Einwandereralltag beherrscht. Ernst Köberl war in einer aussichtslosen Lage, ohne Geld, von gewissenlosen Firmen ausgenützt. Viele Einwanderer sind gescheitert; das Klima und der Zuckerrohrschnaps haben sie zerstört, im gnadenlosen Überlebenskampf sind viele umgekommen.
Einmal ist Ernst Köberl als Schwarzarbeiter auf einem Fischkutter untergeschlüpft. Die Schlafkoje die ihm zugeteilt wurde, -war voll von eingetrocknetem Blut, -kurz vorher war dort ein Afrikaner erstochen worden. Ernst wollte weg aus Brasilien. Seine einzige Chance waren die Schiffe im internationalen Hafen. Norweger, Dänen, Schweden, Deutsche, Franzosen, Schiffe aller Nationalitäten lagen vor Anker.

Er mußte sogar betteln

So oft er konnte, pilgerte er von Schiff zu Schiff, versuchte anzuheuern und bettelte um etwas Essen. Ein norwegischer Koch schüttete einmal demonstrativ neben ihm einen Eimer Speisen ins Meer und rief verächtlich: „Du Deutscher!“ Aber Ernst Köberl hat sich nicht unterkriegen lassen.  

Weg von Brasilien

Wochenlang hat er vergeblich versucht auf einem europäischen Schiff anzuheuern. Im Ausland nimmt aber kein Schiff Mannschaft auf. Endlich hatte er Glück, ein deutscher Kapitän hat ihm eine Chance gegeben: „Wir fahren von Rio nach Santos. Wenn du was taugst kannst du bleiben, wenn nicht setzen wir dich aus!“
Und Ernst Köberl hat etwas getaugt. Mehr als sechs Monate blieb er auf der „Gustav Bistor“, bis er in Hamburg abgemustert hat. Er war fest davon überzeugt, zuhause ein geregeltes Leben anzufangen.
Bei den Steyr-Werken hat er Arbeit als Facharbeiter bekommen. Gleichzeitig versuchte er wieder bei der Eisenbahn unterzukommen. Ärztliche Untersuchungen in Linz, Vorstellungsgespräche in Bad Ischl und Attnang, dann wieder Untersuchungen und Prüfungen in Wels und Linz. Ernst Köberl war verzweifelt. Seihe Ehe wurde geschieden, da ist er wieder abgehauen. In Bremen hat er auf einem Erzfrachter angeheuert.

Furchtbarer Sturm

Die Atlantikstürme auf der Fahrt nach Narvik wird er nie mehr vergessen: „Einmal war es so arg, dass nicht ein Teller ganz geblieben ist. Es war als ob man mit einem Schlitten in voller Fahrt vom Schnee auf eine Schotterstrasse fährt. Sogar Nieten vom Schiff sind gerissen, das hat man durch das ganze Schiff gehört, es war furchtbar.“ Minus 50 Grad haben das Gischtwasser gefrieren lassen. Das ganze Schiff war von einer dicken Eisschicht überzogen. Durch das Übergewicht vom vielen Eis drohte das Schiff zu kentern.
Einmal sind sie im meterdicken Eis festgefroren. Ein Eisbrecher hat sie befreit. Dann kam der Befehl: „Die nächste Fahrt geht nach Indien.“ Genau zu diesem Zeitpunkt hat er einen Brief von seinen Eltern bekommen: „Komm schnell heim, du kannst bei der Eisenbahn anfangen!“ Seine Antwort war: „Die Eisenbahn kann mich…, ich fahr nach Indien.

Erneute Heimkehr

Die Fahrt ging rund um Spanien ins Mittelmeer, durch den Suez-Kanal ins Rote Meer bis in den persischen Golf. Dann weiter zu Erztransporten nach Indien. Nach sechs Monaten im Arabischen Meer ist Ernst Köberl im Herbst 1956 wieder heimgekommen. In der Hoffnung, daß er seßhaft wird, haben seine Eltern eine kleine Schlosserei in der Nachbarschaft gekauft, wo der Besitzer gestorben war.
Um sich selbstständig machen zu können, brauchte er die Meisterprüfung. So hat er am Tag bei der VOEST in Linz gearbeitet und am Abend ist er in den Meisterkurs gegangen. Als er bei der Meisterprüfung durchgefallen ist, hat er seine Sachen gepackt und ist wieder zur See gefahren.

USA – China – Japan

Diesmal hat er ein Schiff erwischt, welches Volkswagen nach USA und Kohlen zurück geliefert hat. Amerika hat ihn nicht begeistert: „Diese Trottel mit ihren großen Hüten und ihren breiten Gürteln haben nur an den Fernsehern herumgedrückt. Ich bin fast nicht mehr an Land gegangen, so haben die mich angekotzt!“
Da hat er auf einem Frachter angeheuert der nach Ost-Asien gefahren ist. Malaysia, Sri Lanka, Singapur, Sumatra, Java, Hongkong, Philippinen, Shanghai, Korea, Japan.

Von Horde Männern gejagt

Mit leuchtenden Augen erzählt Ernst Köberl von seinen Abenteuern: wie er von einer Horde mit Messern bewaffneter Männer gejagt worden ist, von Menschen, die ein Leben lang auf Dschunken leben, von chinesischen Banden, die Schiffe überfallen haben und andere Halsabschneidergeschichten.
Wenn er von den Mädchen in den Häfen erzählt, kommt er ins schwärmen: „Der Mond, die Palmen, das Meer…“.
60.000 Kilometer hat er bei der Ostasienfahrt zurückgelegt. Dann ist er endgültig heimgekommen.
Das größte Abenteuer hat für Ernst Köberl begonnen, als er sich selbstständig gemacht hat. Er hat die Meisterprüfung nachgeholt, aus der kleinen Ein-Mann Schlosserei hat er in harter Arbeit einen Gewerbebetrieb mit bis zu 18 Mitarbeitern aufgebaut.

Vater von vier Söhnen

Er hat wieder geheiratet. Vier Söhne sind zur Welt gekommen, zwei führen gemeinsam den Betrieb.
Ernst Köberl hat sich durch einen Dschungel von Gesetzen gekämpft, hat sich mit Bürokraten herumgeschlagen. Manchmal war er der Verzweiflung nahe: „Mit einer Bande Buschräubern wird man leichter fertig als mit dem Finanzamt.
Seinen Freiheitsdrang hat er beim Segeln befriedigt. Er hat eine eigene Yacht gebaut. Damit ist er in der Adria herumgesegelt, oder hat sich am Traunsee und Attersee von den Salzkammergutwinden treiben lassen.
Wer mit Ernst Köberl redet, verspürt die Energie die in ihm steckt. Wenn er auch im Ruhestand ist, weiß man nie was ihm vielleicht noch einfällt.